ARC Main Page Die Besetzung Osteuropas Aktion 1005

Babi Jar

Letztes Update 8. Juli 2006





Kyiv
Kyiv 2000
Kyiv,
Kyiv, September 1941
Am 19/20. September 1941 wurde Kyiv (Kiew) vom XXIX. Armeekorps der 6. Armee besetzt. Damals lebten 875.000 Menschen in der Stadt, von denen 20% (175.000) Juden waren. Einige der kriegswichtigen Fabriken wurden mit der Belegschaft von den Sowjets evakuiert. 20.000 - 30.000 Juden waren darunter. Die genaue Zahl der evakuierten Juden ist nicht bekannt, weil es damals keine Zählungen gab. Etwa 130.000 Juden fielen in deutsche Hände. Normale Einwohner hatten erhebliche Schwierigkeiten, die Stadt zu verlassen.
Die Bevölkerung erinnerte sich an die deutsche Besetzung von 1918 und war überzeugt davon, dass die Deutschen sich nun ähnlich zivilisiert verhalten würden wie damals. Man nahm an, dass die Besatzer die Rechte und die Eigentumsverhältnisse der Menschen
Stadtplan
Stadtplan 1930
gerecht regeln würden, die von den Sowjets eingeschränkt worden waren. Die Bevölkerung Kyivs war sich nicht über die Risiken bewusst, die die Naziherrschaft mit sich bringen würde. Insbesondere die Juden konnten sich nicht vorstellen, welches Schicksal sie erwartete.

Kreshchatik Straße vor dem Krieg
Kreshchatik Straße
vor dem Krieg
Schon kurz nach der Besetzung der Stadt wurden die Juden verfolgt und ermordet. Aus welchen Gründen auch immer, ein Ghetto wurde nicht eingerichtet.
Am 24. September, und in den folgenden Tagen, detonierten mehrere Bomben in der Stadt (in der Kreshchatik und Prorizna Straße). Mehrere von deutschen Truppen bewohnte Häuser im Stadtzentrum wurden zerstört, unter anderem das Hauptquartier der Armee, das Hotel Continental. Hunderte deutscher Soldaten und Offiziere starben. Das anschließende
Stadtplan
Stadtplan 2000
Feuer verwüstete noch weitere Gebäude. Die Bomben waren von absichtlich zurückgebliebenen sowjetischen Sabotagetrupps des NKWD gezündet worden.

Kreshtchatik Straße - Ein Löschwasserschlauch
und herunter hängende Leitungen datieren dieses Bild in den Zeitraum September/Oktober 1941.
Kreshchatik Straße
Ruinen im Sep/Okt 1941
Wehrmachtsgeneral Alfred Jodl sagte in seinem Prozess in Nürnberg aus:
"...Wir hatten kaum die Stadt besetzt, als sich eine ungeheure Explosion nach der anderen ereignete. Der größte Teil des Stadtzentrums brannte nieder, 50.000 Menschen wurden obdachlos. Deutsche Soldaten wurden zur Brandbekämpfung eingesetzt und erlitten erhebliche Verluste weil während der Löscharbeiten noch weitere Bomben explodierten...
Zuerst dachte der Stadtkommandant von Kiew, dass die örtliche Bevölkerung für die Sabotageakte verantwortlich war.
Militärkarte
Militärkarte 1943
Dann fanden wir aber einen Sabotageplan, der schon lange vorher angefertigt worden war und 50 bis 60 Objekte auflistete,
Kreshchatik Straße um 1943 oder später. 
Nach der Befreiung wurde ein provisorisches Gleis verlegt (der reguläre Straßenbahnverkehr war 1934 eingestellt worden).
Kreshchatik Straße
um 1943 oder später
die für eine Zerstörung vorgesehen waren. Der Plan war echt, wie Ingenieure sofort feststellten. Mindestens 40 weitere Objekte waren bereit zur Zerstörung; sie sollten durch ferngesteuerte Radiowellen gezündet werden. Ich hatte jedenfalls diesen Plan in meinen Händen.
"

Deutsche Truppen griffen einen Juden in der Kreshchatik Straße auf, der gerade einen Löschwasserschlauch durchschnitt. Er wurde sofort erschossen. Dieser Vorfall war die Begründung für die Beschuldigung der ansässigen Juden, für die Explosionen verantwortlich zu sein. Der deutsche Militärkommandant von Kyiv, Generalmajor Eberhardt, traf sich anschließend mit dem Höheren SS- und Polizeiführer SS-Obergruppenführer Friedrich
Physische
Physische Karte der Schlucht
Jeckeln
, dem Kommandeur der Einsatzgruppe C, SS-Brigadeführer Dr. Otto Rasch und dem Kommandanten des Sonderkommandos 4a, SS-Standartenführer Paul Blobel. Sie entschieden, dass eine "angemessene Antwort" auf die Sabotageakte nur die vollständige Vernichtung aller Juden in Kyiv sein konnte, ausgeführt vom Sonderkommando 4a. Diese Truppe bestand aus SD und Sipo-Männern, der 3. Kompanie des "Waffen-SS Batallions zur besonderen Verfügung" und einer Einheit des 9. Polizeibatallions. Die Regimenter 45 und 305 des "Polizeiregimentes Süd" sowie einige ukrainische Hilfstruppen sollten die Truppen verstärken.

Als Tötungsort wurde eine tiefe Schlucht gewählt, etwa 10 km vom Stadtrand entfernt: Babi Jar. Heute liegt der Ort innerhalb der Stadtgrenzen. Am 28. September 1941 veröffentlichte die 637. Propagandakompanie einen Aufruf an die Stadtbevölkerung, gedruckt von der Druckerei der 6.
1924
1924 Karte und 2000 Straßen
Armee:

Bekanntmachung vom 28. September 1941
Bekanntmachung
"Alle Juden der Stadt Kiew und ihrer Umgebung müssen sich am Montag den 29. September 1941 um 8 Uhr morgens an der Ecke Melnikova und Dokhturovska* Straße einfinden. (* im Dokument falsch geschriebener Name der Dokhturova Straße / heute Degtiarivska Straße) Sie sollen ihre Dokumente, Geld, Wertsachen, warme Kleidung, Unterwäsche usw. mitbringen. Jeder Jude, der diese Anordnung nicht befolgt und woanders aufgefunden wird, wird erschossen. Jeder Bürger, der von Juden verlassene Wohnungen aufsucht und dort etwas stiehlt, wird erschossen."
Vergleich
Vergleich von Karten

Tausende von Juden folgten diesem Befehl. Zusätzlich verbreiteten die Deutschen das Gerücht, dass die Juden nach Arbeitslagern gebracht werden sollten. Weil der Sammelpunkt in der Nähe des Güterbahnhofs Lukianovska (heute Lukianivka) lag, glaubten viele Juden dem Gerücht.
Bewacht von Einheiten der SS, des SD und ukrainischen Hilfstruppen marschierten die Juden in Hundertergruppen über die Melnikova Straße nach dem jüdischen Friedhof, der in der Nähe von Babi Jar lag. Das gesamte Gebiet war mit Stacheldraht eingezäunt und konzentrisch von Truppen bewacht: Im äußeren Ring von ukrainischer Polizei, im mittleren Ring von ukrainischer Polizei und deutschen Truppen, im inneren Ring nur von Deutschen.
Am Rand der Schlucht mussten sich die Juden entkleiden und ihre Habe ablegen. Dann brachte
GoogleEarth
GoogleEarth Foto
man die Opfer in Zehnergruppen in die Schlucht. Dort erschoss man sie mit Gewehren und Maschinengewehren.

Babi
Babi Jar 1943
Aussage der Zeugin Iryna Khoroshunova, entsprechend ihres Tagebuch-Eintrags vom 29. September 1941:
"Wir wissen immer noch nicht, was sie mit den Juden machten. Es kommen schreckliche Gerüchte vom Lukianovska Friedhof. Die sind aber unmöglich zu glauben. Sie sagen, dass die Juden erschossen würden... Einige Leute sagen, dass die Juden mit Maschinengewehren erschossen würden, alle. Andere sagen, dass 16 Eisenbahnwagen bereit stünden und dass sie weggeschickt werden würden. Wohin? Niemand weiss es. Nur eines scheint klar zu sein: Alle ihre Dokumente, Sachen und Essen wurden konfisziert. Dann werden sie nach Babi Jar gejagt und dort... ich weiss es nicht. Ich weiss nur eine Sache: Dort trägt sich etwas Schreckliches zu, etwas Unvorstellbares, was man nicht verstehen kann..."

Am 2. Oktober waren alle Zweifel verschwunden:
"Jeder sagt nun, dass die Juden ermordet werden. Nein, sie sind schon ermordet worden. Alle, ohne Ausnahme - alte Leute, Frauen und Kinder. Die, die am Montag (29. September) nach Hause gegangen sind, wurden auch erschossen. Leute sagen es in einer Weise, die keinen Zweifel aufkommen lässt. Kein einziger Zug verließ den Bahnhof Lukianovska . Leute sahen Lastwagen mit warmen Kopftüchern und anderen Sachen, die vom Friedhof weg fuhren. Deutsche "Akkuratesse". Sie haben schon das Raubgut sortiert! Ein russisches Mädchen begleitete ihre Freundin zum Friedhof und kroch von der anderen Seite durch den Zaun. Sie sah, wie nackte Leute nach Babi Jar gebracht wurden und hörte Schüsse eines Maschinengewehrs.
Es gibt mehr und mehr Gerüchte und Berichte. Sie sind zu monströs um es zu glauben. Wir sind aber gezwungen ihnen zu glauben, weil das Erschießen der Juden eine Tatsache ist. Eine Tatsache, die uns verrückt macht. Es ist unmöglich, mit diesem Wissen zu leben. Die Frauen um uns weinen. Und wir? Wir weinten auch am 29. September, als wir dachten, sie würden in ein KZ gebracht. Aber nun? Können wir wirklich weinen? Ich bin am Schreiben, aber meine Haare stehen zu Berge.
"

Mehr Juden als erwartet wurden zum Töten gebracht. Nach einem Bericht der Einsatzgruppe C:
"...Ursprünglich erwarteten wir die Ankunft von nur 5.000 - 6.000 Juden. Nun kamen etwa 30.000 Juden an. Sie glaubten bis zum Moment ihrer Liquidierung, dass sie umgesiedelt werden würden, wegen der großartigen Leistung der Propagandaabteilung."
Infolgedessen konnten nicht alle Juden am selben Tag ermordet werden. Der Historiker Felix Levitas schrieb:
"Die Mörder hatten nicht genug Zeit, ihre Aufgabe zu erledigen. Deswegen ließen sie die Menschen Kopf an Kopf stehen, so dass eine Kugel zwei Leute traf. Die nur Verwundeten wurden mit Schaufeln umgebracht. Kinder warf man lebend in die Schlucht und begrub sie lebendig."
Sergey Ivanovich Lutsenko, ehemaliger Wächter des Lukianivska-Friedhofs, sagte aus:
"Sie erschossen Leute von morgens bis abends. Nachts gingen die Deutschen zu Bett. Der Rest der Opfer wurde in leeren Garagen eingeschlossen. Dies zog sich über 5 Tage hin. Die Nazis brachten immer mehr Menschen, und es fuhren nur Lastwagen mit der Kleidung der Opfer weg." Weitere Aussagen.

Der Massenmord an den Juden von Kyiv dauerte bis zum 3. Oktober 1941. In den folgenden Monaten diente die Schlucht weiterhin als Schlachtstätte für Juden, ukrainische Zivilisten, sowjetische Kriegsgefangene und Roma und Sinti. Nach sowjetischen Quellen wurden in Babi Jar 100.000 - 200.000 Menschen ermordet, bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 6. November 1943. Nach Angaben der Einsatzgruppe C vom 7. Oktober 1941 wurden 1941 33.771 Juden erschossen.
Einige ukrainische Einwohner von Kyiv hatten ihre jüdischen Nachbarn denunziert, andere boten Juden aber auch Unterschlupf. Nach dem Krieg sagte der Sipo und SD-Chef von Kyiv, dass sein Büro körbeweise Denunziationen erhalten hatte. Sein Büro hatte kaum Zeit, alle Meldungen zu bearbeiten.
Seit 1990 hat die Vereinigung der ukrainischen Juden den Titel "Gerechter von Babi Jar" an 431 Menschen verliehen, die Juden versteckt hielten und so vor dem sicheren Tod bewahrt haben. Diese Auszeichnung wurde auch allen anderen damals lebenden Familienmitgliedern verliehen, weil sie damals bei Entdeckung auch ihr Leben hätten lassen müssen.

Die Schlucht 1941 #1
Als sich die deutschen Truppen 1943 zurück zogen, beschloss man, alle noch in der Stadt lebenden Menschen nach Deutschland zu bringen. Der Zeuge Kuznetsov sagte aus:
"...Die Truppen begannen die Vertreibung in den Vororten. Jeder wurde auf die Straße gejagt, die Gehfähigen und Behinderten - alle wurden geschlagen, mit Gewehrkolben gestoßen oder durch Schüsse in die Luft herausgetrieben. Man gab den Leuten nur einige Minuten um das Wesentliche mitzunehmen. Man sagte ihnen, dass Kyiv nach Deutschland evakuiert werden würde, es würde keine Stadt mehr geben.
Alles erinnerte erschreckend an den Auszug der Juden 1941. Massen von Leuten waren unterwegs, weinende Kinder, Alte und Kranke.
"
Nikita Khruschev am 8. November 1943:
"Die Deutschen versuchten, die gesamte Stadtbevölkerung zu vertreiben. Sie jagten die Einwohner mit Hunden, die auf Menschenjagd trainiert waren... Die Deutschen verübten einen Massenmord an denjenigen, die sich vor der Deportation nach Deutschland versteckten... Sie vertrieben erfolgreich eine bedeutende Menge an Einwohnern. Kyiv machte den Eindruck einer ausgestorbenen Stadt."

Die Schlucht 1941 #2
Im Juli 1943 kam Blobel zurück nach Kyiv. Wegen des Herannahens der russischen Front war ihm befohlen worden, alle Spuren des Massenmordes im Osten zu beseitigen. Im Bereich Kyiv wurde seine Truppe unterstützt von SS-Gruppenführer Max Thomas, dem Kommandeur des SD und der Sipo in der Ukraine. Blobel richtete dafür drei Einheiten seiner Aktion 1005 Truppe ein: Sonderkommando 1005 A und 1005 B in der Ukraine, Sonderkommando 1005 Mitte im Bereich Minsk.
Um den 18. August 1943 begann das Sonderkommando 1005A die Reste der 1941 ermordeten Juden zu exhumieren und zu verbrennen. Dieses Sonderkommando bestand aus 8 - 10 SD-Männern und 30 deutschen Polizisten, kommandiert von SS-Obersturmbannführer Baumann. Natürlich erledigten die Deutschen dies nicht mit eigenen Händen. 327 Insassen des bei Babi Jar zwischenzeitlich errichteten KZ Syrets (unter ihnen ca. 100 Juden) wurden zu dieser schrecklichen Arbeit gezwungen. Die Gefangenen erledigten die Arbeit in 6 Wochen. Die Kranken oder die zu langsam Arbeitenden wurden auf der Stelle erschossen. Ein deutscher Schutzpolizist:
"Jeder Gefangene war an beiden Beinen mit einer 2 - 4 m langen Kette gefesselt... Immer wenn ein Leichenhaufen fertig war, wurde er mit Holz bedeckt, mit Benzin und Öl getränkt und dann entzündet."

Blobel am 18. Juni 1947:
"Während meines Besuches im August sah ich eine Leichenverbrennung in einem Massengrab bei Kiew. Das Grab war etwa 55 m lang, 3 m breit und 2,5 m tief. Nachdem die Erde beseitigt worden war, wurden die Leichen mit entzündlichen Material übergossen und angesteckt. 2 Tage vergingen, bis der Haufen niedergebrannt war. Danach wurde das Grab verfüllt und alle Spuren verwischt. Wegen des Herannahens der Front war es nicht mehr möglich, die Massengräber im Süden und Osten zu zerstören, die durch die Exekutionen durch die Einsatzgruppen entstanden waren."

Babi
Babi Jar Gedenkstätte
Die Leichen wurden auf Scheiterhaufen verbrannt, errichtet auf Eisenbahnschienen. Feuerholz wurde aufgestapelt, dann die Körper auf das mit Benzin getränkte Material gestapelt. Wenn die Haufen niedergebrannt waren, musste das Sonderkommando der Gefangenen alle verbliebenen Knochenreste aufsammeln und mit Mörsern zerstampfen. Schließlich wurde die Asche nach eventuell verbliebenem Silber und Gold durchsucht (die Männer dieses Kommandos wurden "Goldsucher" genannt).
Am 29. September gelang 15 Gefangenen des Sonderkommandos die Flucht, 312 Kameraden wurden noch bei der Arbeit oder hinterher ermordet. Im Oktober 1944 wurden die Truppen der Aktion 1005 zur Bekämpfung von jugoslawischen Partisanen nach Kärnten abkommandiert, unter der Bezeichnung "Einsatzgruppe Iltis". Kommandeur war wiederum Blobel.

Babi
Babi Jar heute
Aus politischen Gründen wurde bis 1976 kein Mahnmal in Babi Jar errichtet. Das dann gebaute Mahnmal erwähnte die gestorbenen Juden nicht. Es brauchte weitere 15 Jahre, bis ein neues Mahnmal (Menorah / jüdischer Leuchter) errichtet wurde. Es dient heute als zentrale Gedenkstätte der Juden.
Das wohl eindrucksvollste Mahnmal ist jedoch Yevgeny Yevtushenkos Gedicht "Babi Jar". Dieses Kunstwerk wurde 1961 publiziert. Dmitri Shostakovich verwendete das Gedicht als Teil seiner 13. Symphonie, die 1962 veröffentlicht wurde.

Die Kyiv-Karte basiert auf www.inor.com.ua/map.html
Karte der Gedenkstätte: www.judaica.kiev.ua/

Das Babi Jar Album

Quellen:

Khiterer, Victoria. Babi Yar, the Tragedy of Kiev's Jews
Gutman, Israel, ed. Encyclopedia of the Holocaust, Macmillan Publishing Company, New York, 1990
Ernst Klee. Willi Dreßen. "Gott mit uns" - Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1989
Stefan Mashkevich

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